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BGH, Urteil vom 08.01.2014, Az.: I ZR 169/12 – Keine tatsächliche Vermutung für Täterschaft in Mehrpersonen-Konstellationen

Die Urteilsbegründung zum Urteil des BGH vom 08.01.2014, Az.: I ZR 169/12 („BearShare“) liegt nun im Volltext vor.

Die Urteilsbegründung zum Urteil des BGH vom 08.01.2014, Az.: I ZR 169/12 („BearShare“) liegt nun im Volltext vor. Der BGH hatte einen Fall zu entscheiden, in welchem unstreitig der damals 20-jährige Steifsohn des beklagten Anschlussinhabers über die Tauschbörse „Bearshare“ Urheberrechtsverletzungen begangen hatte. Vier führende Tonträgerhersteller verklagten den Anschlussinhaber auf Zahlung von Rechtsanwaltskosten für die Abmahnung i.H.v. noch 2.841,00 € (ursprünglich: 3.454,60 €). Der BGH wies die Klage vollumfänglich ab. Der BGH führte aus, dass zwar grundsätzlich ein Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag in Betracht komme. Dieser setze aber voraus, dass die Abmahnung berechtigt sei. Dies sei aber nicht der Fall. Denn der verklagte Anschlussinhaber hafte für die Rechtsverletzungen des volljährigen Steifsohnes weder als Täter noch als Störer.

Im Einzelnen führte der BGH aus:

„Im Streitfall spricht keine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Beklagten. Wird über einen Internetanschluss eine Rechtsverletzung begangen, ist eine tatsächliche Vermutung für die Täterschaft des Anschlussinhabers nicht begründet, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung (auch) andere Personen diesen Anschluss benutzen konnten. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Internetanschluss zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung nicht hinreichend gesichert war oder – wie hier – bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde. […]

 

Die sekundäre Darlegungslast führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbstständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet.“

 

Der BGH sah insofern die tatsächliche Vermutung im Streitfall als widerlegt an:

„Der Beklagte hat seiner sekundären Darlegungslast dadurch entsprochen, das er vorgetragen hat, der in seinem Haushalt lebende 20-jährige Sohn seiner Ehefselbstrau habe die Dateien von dem in seinem Zimmer stehenden Computer zum Herunterladen bereitgehalten. Unter diesen Umständen ist es wieder die Sache der Klägerinnen als Anspruchssteller, die für eine Haftung des Beklagten als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen (BGH, GRUR 2013, 511 Rn. 25 – Morpheus). Das Berufungsgericht hat angenommen, nach den von den Klägerinnen aufgezeigten Umständen könne nicht mit hinreichender Gewissheit davon ausgegangen werden, dass der Beklagte selbst die Musikaufnahmen zum Herunterladen angeboten habe. Diese tatrichterliche Beurteilung lässt keinen Rechtsfehler erkennen.“

 

Insofern stimmte der BGH also der Vorinstanz zu, dass eine Haftung als Täter nicht in Betracht komme. Im Folgenden beschäftigt sich der BGH mit der Frage der Störerhaftung bei Überlassung des Internetanschlusses an den Steifsohn. Entscheidend war die Frage, ob der Steifvater den Stiefsohn über das Verbot, Tauschbörsen zu nutzen, hätte belehren müssen. Dies verneint der BGH wie folgt:

 

„Als Störer kann bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beträgt. Dabei kann als Beitrag auch die Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten genügen, sofern der Inanspruchgenommene die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte. Da die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die weder als Täter noch als Teilnehmer für die begangene Urheberrechtsverletzung in Anspruch genommen werden können, setzt die Haftung als Störer nach der Rechtsprechung des Senats die Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfungspflichten, voraus. Ob und inwieweit dem als Störer Inanspruchgenommenen eine Verhinderung der Verletzungshandlung des Dritten zuzumuten ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung seiner Funktion und Aufgabenstellung sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat.“

 

Während das Berufungsgericht an dieser Stelle eine Haftung des Anschlussinhabers als Störer angenommen hatte mit der Begründung, der Beklagte hätte seinen volljährigen Steifsohn vorher über das Verbot Tauschbörsen zu nutzen, belehren müssen, lehnte der BGH eine Störerhaftung ab.

Er führte aus:

 

„Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war es dem Beklagten nicht zuzumuten, seinen volljährigen Stiefsohn ohne konkrete Anhaltspunkte für eine bereits begangene oder bevorstehende Urheberrechtsverletzung über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Tauschbörsen aufzuklären und ihm die rechtswidrige Nutzung entsprechender Programme zu untersagen. Der Inhaber eines Internetanschlusses ist grundsätzlich nicht verpflichtet, volljährige Familienangehörige über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen oder von sonstigen Rechtsverletzungen im Internet zu verbieten, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine solche Nutzung bestehen.“

 

Weiter urteilte der BGH:

„Diese Grundsätze gelten nicht nur für die Überlassung des Internetanschlusses durch einen Ehepartner an den anderen Ehepartner. Sie gelten vielmehr auch für die – hier in Rede stehende – Überlassung des Internetanschlusses an Stiefkinder. Ob und inwieweit diese Grundsätze bei einer Überlassung des Internetanschlusses durch den Anschlussinhaber an andere ihm nahestehende volljährige Personen wie etwa Freunde oder Mitbewohner entsprechend gelten, kann hier offen bleiben.“

 

Besonders die Ausführungen des BGH zur sekundären Darlegungslast begrüßen wir sehr. Denn der BGH macht dadurch klar, dass die tatsächliche Vermutung für die Verantwortlichkeit des Anschlussinhabers bereits dann widerlegt ist, wenn der Anschlussinhaber vorträgt, dass zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung auch andere Personen diesen Anschluss benutzen konnten. Diese Ausführungen werden in einer Fülle offener Filesharingfälle durchaus weiterhelfen.

 

Das Urteil im Volltext können Sie hier lesen.

 

Rechtsanwalt Florian Sievers, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

Autor: Rechtsanwalt Florian Sievers, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht


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